Rothenfelser Erklärung 2006
Die Bundesrepublik Deutschland ist in eine existenzielle Krise geraten.
Eine der Hauptursachen liegt darin, dass der wichtigsten Keimzelle des Staates, der Familie, ihrer Erhaltung und Prosperität seit Jahrzehnten zu wenig Beachtung gezollt wurde.
Es wurde vergessen, dass Mutterschaft der unaufgebbarste und lebenswichtigste Beruf ist.
Die alarmierende Zunahme von psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen belegt dies ebenso wie die Ergebnisse aus den einschlägigen Wissenschaften wie Neurobiologie und Hirnforschung. Eine konstante Betreuung im Kleinkindalter durch die Mutter, den Vater und auch weitere Familienangehörige ist für eine seelisch gesunde Entwicklung der Kinder unverzichtbar.
Wir appellieren an die Regierung, dem Geburtenschwund und der immer unzureichender werdenden seelischen Gesundheit der jungen Generation entgegenzuwirken.
Familien brauchen dringend flankierende Maßnahmen, die sie stützen und dem Muttersein wieder eine gesellschaftliche Wertschätzung entgegenbringen.
Deshalb fordern wir:
1. Mütter, die ihre Kinder selbst betreuen, erhalten kostenneutral die ansonsten im Rahmen einer Fremdbetreuung aufzuwendenden Beträge direkt ausbezahlt. Alternativ wird ihnen ein entsprechender Steuervorteil gewährt.
2. Mütter erhalten einen angemessenen Rentenanspruch.
3. Durch Schulabgängerinnen werden Familienhelferinnen bereitgestellt.
4. Mütter, die nach einer mehrjährigen Familienphase erneut in ihre Ausbildung bzw. ihren Beruf einsteigen wollen, werden gefördert und bevorzugt vermittelt.
Mehrkinderfamilien mit mehr als zwei Kindern sind darüber hinaus zusätzlich durch folgende Maßnahmen zu fördern und zu unterstützen:
1. Die geplante zeitliche Kürzung des Kindergeldes ist zurückzunehmen.
2. Der Kinderfreibetrag wird auf 8000,- € je Kind angehoben.
3. Evtl. Studiengebühren entfallen für alle Kinder dieser Familien.
Die Bereitschaft zur Familiengründung ist in der jungen Generation mehrheitlich gegeben.
Die Realisierung dieses lebenserhaltenden Wunsches ist für unsere Zukunft unumgänglich und deshalb für alle Verantwortlichen eine Aufgabe von höchstem Vorrang.
Verabschiedet am 16.07.2006
Burg Rothenfels
VERANTWORTUNG FÜR DIE FAMILIE E.V.
info@vfa-ev.de, www.vfa-ev.de
Aufbruch zu einer christlichen Kulturrevolution
von Prof. Dr. Klaus Berger
Wie und warum eine Kultur zuende geht, „auf der Strecke bleibt“, darüber wissen wir recht genau Bescheid, zufällig sogar aus dem Neuen Testament. Höchst eindrücklich und sinnlich beschreibt der Seher Johannes das Ende der römischen Leitkultur in Offenbarung 18: „Keine Lampe wird mehr brennen, kein Brautpaar wird mehr juchzen in dir? Da hob ein starker Engel einen Stein auf, schwer wie ein Mühlstein, und warf ihn ins Meer mit den Worten: So wird Babylon fallen, die große Stadt, und sie wird untergehen.“ So sieht vor fast 2 000 Jahren der Seher Johannes das Ende einer Zivilisation. Wie ein Mühlstein ins Wasser gerollt wird.
Der Seher Johannes sagt auch ganz einfach, was fehlt: Die Brautleute werden nicht mehr juchzen, es fehlt schlicht Lebensfreude und Vitalität. Wir erfahren durchaus, wo die Vitalität aufgebraucht wurde: Dieser römische Staat, sagt der Seher, ist verlebt, und zwar durch „Hurerei“, wie er es nennt, also durch ein erotisches Verhältnis zum Geld, zu Luxus und zu seelenlosen Beziehungen. Inklusive Ausbeutung von Frauen. Der Seher schaut diese morbide, todgeweihte Zivilisation im Bild einer Prostituierten, weil er weiß, dass diese Gesellschaft wesentlich von der Ausbeutung von Frauen lebt, die alles tun müssen, damit mehr Geld hereinkommt: Kinder bekommen, Kinder erziehen, Geld verdienen, Gäste bewirten, Wäsche waschen, die Männer erfreuen. Achten wir darauf: Eine solche Gesellschaft lebt immer auf Kosten der Frauen. Sie sind die wahren Sklavinnen, verführt durch die Ideologie des Profits. Und wenn heute in einem Teil der Christenheit sexuell Verirrte jeder Art in Bischofsämter gewählt werden und also Zeichen für die Kirche sein sollen, so scheinen diese Lasterkataloge direkt aus der Apokalypse entlehnt.
Am positiven Gegenbild kann der Seher Johannes dann auch zeigen, was Ursache für das fehlende Juchzen ist: die fehlende Vision, der Mangel an gemeinsamer Zukunft. Er zeigt es am Bild des himmlischen Jerusalem. Das ist wie ein Radleuchter in der Vierung romanischer Dome. Ein großes Rad mit zwölf Tortürmen, eine große, herrliche Stadt, so groß wie die damals bekannte Welt, mit offenen Toren, erfüllt von Licht, ohne Feinde, mit Lebensbäumen und ausreichend Wasser in der Mitte. Eine menschenfreundliche, große Stadt. Ein Stadt, in der Gott mit den Menschen wohnt. Offen für alle Völker der Erde. Eine Stadt der Gerechtigkeit und des Friedens, in der Gottes Gebot gilt. Nicht irgendwelche frommen Sprüche, sondern das Bild dieser lichterfüllten großen Stadt steht uns vor Augen als Bild der Hoffnung. Es ist genau die Ordnung, die nicht einengt, sondern die wir jetzt schon spüren, wenn wir unseren Tag zum Beispiel durch die heilvolle Ordnung des Stundengebets gliedern lassen, ein Stück Gnadenordnung und Gemeinschaft mit den Engeln.
Gegenbild zum perversen Luxus, der in Apk 18 geschildert wird, ist vor allem Jesu Umgang mit Kindern und sind seine Worte gegen die Ehescheidung. Im Unterschied zu jeder anderen Religion stellt Jesus die Kinder ins Zentrum. Denn sie müssen alles von anderen erwarten, sie können bitten und danken und vor allem sich selig freuen. Wer weiß noch davon? – Dass Jesus die Ehescheidung nicht will, erfahren wir gleich fünfmal aus dem Neuen Testament. Kaum einer hat je gefragt, warum das so ist. Fast alle erklären, Jesus habe halt zu wenig von der modernen Ehe verstanden und man müsse solche Worte daher historisieren. Doch Jesus sieht sich selbst als Bräutigam des neuen Gottesvolkes. Er erneuert damit das alte Bild der Ehe zwischen Gott und seinem Volk. Doch wenn die Menschen und besonders die Kinder kein Anschauungsmaterial in der Ehe ihrer Eltern haben, können sie gar nicht verstehen und glauben, dass Gott seinem Volke treu sein wird. Rom ist wegen seiner Sünde gefallen. Wie ein Mühlstein.
Was ist Sünde? Die Alte Kirche sagt es immer wieder: Sünde entsteht aus Traurigkeit, aus dem bodenlosen Jammern. Es gibt eine Traurigkeit, die zur Umkehr führt, zum längst fälligen Umdenken. Und es gibt eine andere Traurigkeit, die depressiv und haltlos macht. Sie führt dazu, dass uns auch Gottes Gebote egal sind. – Was ist eigentlich Sünde? – Orientieren wir uns am Gleichnis vom unbarmherzigen Sklaven nach Mt 18: Dieser Sklave hatte die Vergebung, die er selbst empfangen hatte, nicht an seinen Mitsklaven weitergegeben. Verallgemeinert man das, lässt sich sagen: Sünde begehen wir immer dann, wenn wir das, was wir empfangen, nicht weitergeben. Das Leben, die Vergebung, die Freude. Wenn wir sie nicht weiterreichen, sondern in uns versickern lassen. Wie ein Spielverderber bei der „stillen Post“, der das Signal, das er empfangen hat, nicht weitergibt. Deshalb ist es eine Kardinalsünde dieser Zeit, das Leben, das wir empfangen haben, nicht weiterzugeben. Die systematisch gewollte Kinderlosigkeit ist Sünde schlechthin. Denn hier versickert das Leben in uns selbst. Wir tun so, als gehöre es nur uns, wäre Privateigentum, über das wir verfügen können. Nein, unser Leben ist uns geschenkt, und es ist dazu da, weitergereicht zu werden an Kinder und Enkelkinder. Und nicht in uns zu versickern. Wer so das Leben in sich versanden lässt, bestraft sich selbst, da er sich Freude an Kindern und Enkeln systematisch selbst nimmt. Es ist wie eine Selbstbestrafung. – Sünde heißt: das Empfangene nicht weitergeben.
Und es gibt nicht nur die Freude des Beschenkten, sondern auch die Freude des Schenkers. Die Seligkeit des Gebers. Dafür gibt es ein schönes Jesuswort außerhalb der Evangelien: Nicht wer nimmt, sondern wer gibt, ist selig. Warum ist das so? Es ist die Freiheit des Schenkenden, die der Geber spürt, und es ist die Freude über die strahlenden Augen dessen, der beschenkt ist. Ein Stück Seligkeit, wenn wir, wenn ich die Ursache für strahlende Augen bin. – Wie kann man überhaupt wieder Geschmack an dieser Freude finden? Indem man selbst spürt, wie man befreit wird. Indem man selbst neu anfangen darf. Jede Beichte, auch wenn der Beichtvater nicht viel Zeit hat, ist ein frühlingshafter Neubeginn mitten im Leben. Die Kultur Roms ist gestorben. In dreißig Jahren ist Deutschland vermutlich ein muslimisches Land. Bis zu 75 Prozent der geborenen Kinder sind Moslems. Der Kirchenbesuch liegt bei zwei bis drei Prozent im Bundesdurchschnitt. Der Papst hat die Abtreibungspraxis und Familienpolitik der westlichen Nationen vor allem eine Kultur des Todes genannt. In diesem Sinne ist es nötig, zu einer Kulturrevolution aufzurufen. Man sollte das Notwendige mit diesem anspruchsvollen Wort benennen, um es nicht den Maoisten zu überlassen. Denn Christentum zeigt sich immer in Symbiosen mit Kulturen. Und als „Revolution“ muss man diesen Vorgang bezeichnen, weil es sich um einen radikalen Einschnitt handeln müsste. Weder die Verfassung zum Beispiel der Bundesrepublik noch „Werte“ noch Geld wird das erreichen, was dringend nötig ist.
Selbst der hehrste Satz der Verfassung „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ reicht nie und nimmer, wenn keiner da ist, der für die Würde des Menschen auch einsteht. Der sie im Zweifelsfall rettet. Zum Beispiel konnte gegen den verbreiteten Grundsatz „Je schwächer, desto weniger Mensch“ auch aller Verfassungspatriotismus nichts ausrichten. Im übrigen kennt die Bibel keine Menschenrechte, sondern nur Verpflichtungen vor Gott. Auch dieses ist eine Soll-Bruchstelle mit vielen CDU-Juristen. Denn sonst ist zum Beispiel der Widerstreit unauflösbar zwischen dem Menschenrecht der Mutter (auf Selbstbestimmung) und dem Menschenrecht des Kindes (auf Leben). Nein, wir gehören nicht uns selbst. Und daher ist uns gesagt (von Gott) was zu tun ist, und wir dürfen es nicht selbst per Mehrheitsbeschluss festsetzen oder ändern.
Der „Glaube“ an Werte und das häufige Reden darüber helfen nicht, weil das Gute und Wahre, weil Gerechtigkeit und Tapferkeit niemanden begeistern und wecken können. Personen könnten überzeugen, nicht Werte. Daher hat der verstorbene Papst so viele Menschen selig- und heiliggesprochen wie keiner seiner Vorgänger, weil er der Überzeugung war, jede Kirchenprovinz brauche ihre Vorbilder. Werte sind – leider – auch nicht schön. Ihnen fehlt das Ästhetische. Es bedurfte schon eines Meeres von schwarz-rot-goldenen Fähnchen, um einen Hauch von Vaterlandsliebe in uns zu wecken. Doch ein abstrakter Wert schaffte das auch nicht; dazu gehörte schon eine Mannschaft. Nein, es werden nicht Werte sein, wie manche Parteien denken. Wir bieten nicht Werte an, sondern uns geht es um Personen und Gebote. Jesus und Paulus vermittelten nicht Werte, sondern sie lebten und litten für das Volk Gottes. Das Evangelium von Sündenvergebung und Auferstehung meint eine Geschichte dramatischer Begegnungen Gottes mit den Menschen – nicht aber Werte wie Sparsamkeit und Tapferkeit. Aus dem Glauben ergeben sich bestenfalls nicht Werte, sondern Lebens- und Überlebensregeln, also Gebote im Rahmen verbindlicher Gemeinschaft. Diese Gebote stehen zwischen Sünde und Verheißung. Wenn man daraus Werte ablöst, handelt man nach einem Steinbruchverfahren, und es kommen so genannte Säkularisate heraus, es bleiben dann übrig Personwürde, Menschenrechte, Friedensethik, Sozialethik – immerhin. Hier handelt es sich also günstigstenfalls um Auswirkungen oder Fernwirkungen des Christentums.
Doch Werte haben nicht von sich aus die Kraft, sich durchzusetzen. Sie haben diese Kraft immer nur gehabt aus einem lebendigen Glauben an Jesus heraus, aus unverbrüchlicher Hoffnung und großer, dankbarer Liebe. Auch aus der Kraft, die daher rührt, dass das Christentum keine Philosophie ist, sondern dem Wesen nach Kirche, in der einer dem anderen das Wort der Vergebung zusagt und einer den anderen stützt. Aus dem Neuen Testament kommt eine radikale Anti-Weisheit, sie heißt Kreuzestheologie. Sie ist die gründlichste Abschaffung aller „staatstragenden Werte“. Sie ist kein Weg, sich in der Welt beliebt zu machen, aber ein Weg zum Frieden.
Nun möchte man die Menschen mit viel Geld zum Kinderkriegen bewegen. Dagegen kann man radikal formulieren: Ihr Politiker, behaltet das Geld! Denn der Wunsch zum Kind ist doch nicht mit Zahlungen zu erreichen. Die kostspielige Illusion der Politiker besteht in der aberwitzigen Meinung, die Lust auf mehr Kinder, auf Ehe und Familie überhaupt ließe sich durch Geldversprechen erzeugen. So entsteht doch nur die Meinung: Wenn man soviel Geld dafür bekommt, dann muss es schon eine verflixt unangenehme Sache sein. Der Dienst am Geld, die Faszination durch das Geld, das war doch gerade die ganze tödliche Faszination, die zum Untergang Roms führte. Wie will man mit demselben Mittel, das doch zum Untergang führte, nämlich der Faszination durch das Geld, heilen? In dem erotischen Verhältnis zum Geld liegt doch der ganze Jammer unserer sterbenden Kultur. Denn Liebe zu Kindern und zur Familie ist nicht mit Geld zu kaufen, nicht durch finanzielle Bestechung zu erwirken. Gerade deshalb hat Jesus, der das Geld für ungerechten Mammon hält, sich den Kindern so zugewandt.
Jede Interessengruppe schreit nach Geld. Wenn die Menschen, die Kinder wollen, zuallererst um Geld schreien, werden sie mit Interessenverbänden verwechselbar. Aber hier geht es doch nicht um eine Lobby, sondern um das Ganze. Eben deshalb ist von Kulturrevolution die Rede, weil sie einen Mentalitätswandel voraussetzt, der zunächst einmal nicht primär finanzielle Interessen verfolgt. Selbstverständlich geht es auch um Gerechtigkeit. Eine Ordnung zu verteidigen, in der Kinder zu haben Zwangsarmut bedeutet, wäre ganz gewöhnlicher Zynismus. Davon haben wir genug.
Natürlich brauchen Familien finanzielle Unterstützung. Aber wir sollten nicht zuerst über Geld reden. Welches junge Ehepaare wäre durch ein paar Hunderter zu Kindern zu bewegen, wenn diese grundsätzlich nicht ins Lebenskonzept passen. Es sind nicht große Töne, sondern drei oder vier ganz schlichte Dinge, die zu dem notwendigen Wandel führen könnten.
Erstens eine neue Schlichtheit oder zweite Naivität. „Unser Leben wird immer künstlicher“ (Ch.Meves) – schon im alten Rom musste es der ausgekochteste Luxus sein. Andererseits ist die Alternative nicht gleich Ernst Wiecherts Programm „Vom einfachen Leben“. Gibt es einen Weg zurück zum Lebensmut in einer sterbenden Kultur? Vielleicht eine zweite, eine neue „Naivität“. In der Geschichte des katholischen Glaubens in Deutschland haben wir Vergleichbares gegen Ende des 20. Jahrhunderts erlebt: 1955 meinten wir noch alle, Fronleichnam sei eine tolle Sache. Dann verloren wir die Naivität, betrachteten die Kirche und den Glauben vor allem als Objekt ständiger Reformen. Dann sahen wir die Stützpfeiler krachen, selbst der Episkopat schien mutlos. Aber dann erwachte das uralte Erbe wieder in uns, und mit einem Male sahen wir, was wir vierzig Jahre lang angerichtet hatten. Und plötzlich sehnten wir uns wieder danach, das Knie zu beugen, Jesus in der Hostie anzubeten. Zur Madonna zu pilgern. Priester begannen wieder, Priesterkleidung zu tragen. Die theologische Beseitigung des Priesterberufs im Zuge der Gremienherrschaft wurde rückgängig gemacht. Man erkannte neu, was es ist mit priesterlicher Vollmacht. Und als unser Volk in der demographischen Katastrophe war, entdeckte man: Hätte auch nur ein wichtiger Meinungsführer auf die Enzyklika Humanae Vitae und andere päpstliche Weisheiten gehört, unsere historische Situation sähe ganz anders aus. Übertragen auf andere neue „Naivitäten“ heißt das: Freude an dem haben, was auch schon früher als normal galt, zum Beispiel an Kindern. Freude an den Jahreszeiten und Festen. Ein etwas bescheideneres Leben.
Ein zweiter Schritt heißt: Gefühl, Herz und Sehnsucht als wichtige Themen wiederentdecken und nicht dem Zufall überlassen. „Intelligenz kommt über das Gefühl“ (Ch. Meves). Eine Gefühlskultur, in der Lieder und Gedichte, Sehnsucht und auch die Stimmung einer Sommernacht ihren selbstverständlichen Ort haben. Der Mut zu sagen, dass man Waldeinsamkeit liebt. Wenn man heute durch die Wälder geht, dauert es oft buchstäblich Tage, bis man einem Menschen begegnet. Im bischöflichen Waldgebiet Wohldenberg bei Hildesheim hatte vor 200 Jahren ein Prälat den Mut zu der damals wie heute „unkorrekten“ Inschrift: solitudo sola beatitudo (Waldeinsamkeit ist wahre Seligkeit).
Ein dritter Schritt: Ersetzen der schlechten, anonymen Kopie durch das persönliche Original. Aus einiger Entfernung wird man vermutlich sagen: Wir haben in einem Kopier-Zeitalter gelebt. Nichts mehr ist einmalig und gerade hier und jetzt zu tun. Man kopiert Schafe und klont Menschen, das Studium besteht aus der Anfertigung zehntausender Kopien. Nicht die authentische Erfahrung, sondern die Kopierbarkeit zählt. Doch durch Kopien wird alles stets anonymer. Die Offenbarung des Johannes bringt es ans Licht. Das Böse besteht immer in der vom Original kaum oder nur unter der Mühsal des Martyriums zu unterscheidenden Differenz vom Original. Das heilsame Original und der tödliche Schein liegen immer nahe beieinander, Bekenntnis oder Correctness, Christusglaube oder Kaiseranbetung, Jugendbewegung oder Nazis, Achtung der Mutterschaft oder Rassenwahn. Der kleine, feine Unterschied ist der zwischen Wahrheit und Schein. Zwischen der Anonymität des Kopierens und der authentischen Weitergabe liegt die personale Verantwortung. Des gegenwärtigen Papstes Vorbehalte gegen anonyme Konferenzen gegenüber der persönlichen Verantwortung des einzelnen Zeugen sind hier begründet. Laut Bibel ist der Mensch „Bild Gottes“ (imago), von der Kopie kaum zu unterscheiden. Oder etwa doch – durch Freiheit und Liebe? Lieber Kinder als Kopien.
Und als Viertes ist hinzuzufügen: Eine Revolution der Kultur wäre es, wenn man nicht mehr nur aus Muss und Soll und Pflichtgefühl, auf Druck und Angst hin handelt, sondern weil man fasziniert ist von der Schönheit der Ordnung. „Leben aus dem Glanz der Ordnung“ ließe sich ein Verhalten nennen, das sich leiten lässt von der unbedingten Faszination der Schöpfung und des himmlischen Jerusalem, das wir erwarten.
Das letzte Gegenbild zur trostlosen Stadt von Offenbarung 18 liefert wiederum die Offenbarung selbst: Es ist die Gottesdienst feiernde Gemeinde. Die Liturgie ist die Gegenöffentlichkeit. Wenn Christen in der Welt mit ihren Überzeugungen bestehen wollen, brauchen sie Kraft und ein starkes Widerlager. Dass Liturgie schön ist, dass der Glaube in einem Fest gefeiert wird, dass der Gottesdienst mit der Herrlichkeit der Gnade zu tun hat, das gibt der Gegenöffentlichkeit ihre Stärke. Denn nirgends anders als im Gottesdienst wird der Anspruch eines Königs angemeldet, der nicht „gehen“ wird, sondern der kommt.
Presseecho
Ohne Kinder gibt es keine vitale Gesellschaft. Diese Erkenntnis muss sich endlich durchsetzen. Der Kreis um Christa Meves will dabei helfen.
Patricia Haun – © Rheinischer Merkur Nr. 29, 20.07.2006
Dass es Menschen gibt, die sich aus christlichem Antrieb heraus für andere und letztlich für die Gesellschaft einsetzen, konnte man am vergangenen Wochenende auf Burg Rothenfels im Spessart erleben. Sie kamen unter dem Motto „Chancen für Kinder – Hoffnung auf Zukunft – Impulse für die Politik“ zusammen, eingeladen von der Kinderpsychologin, Buchautorin und RM-Mitherausgeberin Christa Meves. Der von ihr initiierte Verein „Verantwortung für die Familie“ setzt sich konkret für die Zukunft unseres Landes ein.
Die unermüdliche Kämpferin bestürmt seit Jahren Regierungen und Medien mit Aufrufen und ermahnt Politiker, ihren Pflichten nachzukommen. Bereits 1985 legte sie Bundeskanzler Kohl ihr Konzept „Mutter als Beruf“ vor. Daraus resultierten das Babyjahr und die Erziehungszeiten. Sie sammelte Tausende von Unterschriften und sammelt sie weiter. Ihr neues Projekt „Elterncolleg Christa Meves“ (ECCM) basiert auf regionalen Elternschulen, die eine Pädagogik vermitteln, die sich direkt an junge Mütter wendet.
Renommierte Fachleute bestätigten auf Burg Rothenfels die jahrzehntealten Prognosen der Mahnerin wider den Zeitgeist, die durch die gegenwärtigen Erfahrungen und wissenschaftliche Untersuchungen – leider, muss man sagen – belegbar sind. Obwohl viele düstere Tatsachen beim Namen genannt wurden und man angesichts der politischen Lage in Resignation verfallen könnte, war von Untergangsstimmung in diesem Kreis nichts zu spüren. Die rund 500 Teilnehmer, viele Familien darunter, sind sichtlich von Lebensfreude erfüllt.
In dieser Burg, die noch der Geist Romano Guardinis durchweht, wurden Pläne geschmiedet, um die Zukunft unseres Landes zu retten, die in den Kindern und damit in den Familien liegt. Der Gegner, der sich fast unmerklich über Jahrzehnte in die Gesellschaft eingeschlichen hat, von einigen wenigen erkannt, die aber bald als Narren oder Spielverderber mundtot gemacht wurden, hat einen Namen. Er lautet: „Kultur des Todes“. Von Kulturrevolution sprach man also hinter dicken Burgmauern, Werteverlust, verloren gegebenem Nationalstolz. Warum nicht Flagge zeigen, wie bei der Fußball-WM geschehen? Dies kam auch bei „Fußball-Gegnern“ sehr gut an. Warum? Weil dieser neu gewonnene Nationalstolz auf Gastfreundschaft und Fairness basierte.
Traurige Rechnung
Einigkeit herrschte darüber, dass die Familien als Keimzelle der Zukunft Deutschlands besonders gestärkt werden müssen. Aber bezahlen, gar bestechen lassen für das Kinderkriegen? Dies erwecke den Eindruck, dass es schon eine sehr unangenehme Sache sein müsse, Familie zu haben, wenn man dafür so viel Geld erhalte, wie Professor Klaus Berger humorvoll formulierte.
Früher bedeutete Kinderreichtum Sicherheit. Heute sind Mütter zwar durch das Sozialsystem gesichert, aber sie erhalten kein Einkommen. Die traurige Rechnung unserer Rentenkassen lautet: Die Mutter zahlt keine Beiträge, also hat sie zum Generationenvertrag nichts beigetragen. Wie paradox. Nicht Bezahlung und Bürokratie ist gefragt, sondern Gerechtigkeit und Anerkennung. Wieder Tugenden, die nicht mit Geld zu bezahlen sind. Nicht reiche Singles und auch keine reichen Familien braucht das Land, sondern Kinder, die in einer Familie mit möglichst vielen Geschwistern aufwachsen.
„Verantwortung für Kinder ist Verantwortung für Werte“ lautete denn auch der Vortrag von Professor Paul Kirchhof, der das Ziel eines wertegeprägten Staates vor Augen hat. Kinder bedeuten Zukunft. „Wir versagen in dieser so wichtigen Frage“, sagt Kirchhof. Er ruft dazu auf, die ganze Kraft des Rechts und des Geldes im Staat einzusetzen, um unsere Zukunft zu retten. Umfragen ergäben, dass der Wunsch nach Kindern und Enkeln da sei, sich die Menschen aber dagegen entschieden, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmten. Kirchhof forderte die Anerkennung derer, die die wertvollste Leistung für unsere Gesellschaft erbringen.
So kamen alle Referenten bei unterschiedlicher Themenstellung zum Ergebnis, dass es nötig sei, die Mütter auf vielfache Weise zu stärken. „Wollen wir eine im Erwerbserfolg sterbende oder eine im Kind vitale Gesellschaft sein?“, fragt Kirchhof. Wir wollen wachsen. Wachstum beginnt beim Kind. Wenn das Kind nicht wächst, gehen Wirtschaft, Kultur, Geschichte, Sprache und Religion zugrunde. „Kämpfen wir also für mehr Wachstum“, lautet sein Fazit.
Mit Geld hat die Gesellschaft sich eine „Schein“-Welt geschaffen. Aber wo ist die Unbeschwertheit, das Kinderlachen geblieben? Wo ist die helfende Hand, auf die wir uns im Alter stützen, die Hand unserer eigenen Kinder und Enkel? Und auch das wurde auf Burg Rothenfels deutlich gesagt: Wir müssen weg vom Profitdenken, zurück zur Einfachheit. Den Reichtum in den Herzen unserer Kinder heranbilden. Daraus ist letztlich Glück und Zukunft zu schöpfen.
Auffallend, dass unter den Teilnehmern viele alte Menschen waren. Angesichts des egoistischen Mainstreams könnte es ihnen doch egal sein, was aus der Zukunft wird. Aber sie stehen ein für die Jungen und für unser Land. Welch ein Verständnis von Generationenvertrag! Sie wollen Vorbilder sein für Mut, Opferbereitschaft, Wahrhaftigkeit, Unbestechlichkeit. Ihnen kann niemand vorwerfen, sie hätten dem Untergang stillschweigend und tatenlos zugesehen.
Die Mütter stärken
Nicht mit aggressiven Waffen wird dieser Kampf um die Zukunft der Familien gekämpft. Berechnung und politisch-taktisches Vorgehen führen in die Sackgasse. Auf Wahrheit basiert der Einsatz dieser Menschen – und auf Liebe. Und wo sonst ist die Liebe mehr verwurzelt als in der Mutter? Wer sonst kann Leben und Zukunft schenken, wenn nicht die Mutter? Stärken wir die Mütter, so stärken wir unser Land – das ist einer der Appelle, die von Burg Rothenfels ausgehen. Als konkretes Zeichen wurde von den Teilnehmern ein Memorandum mit Forderungen zur Verbesserung der Situation der Familien diskutiert und verabschiedet. Es wird nach einer letzten Überarbeitung dem Familienministerium und den Parlamentariern vorliegen.